Revisited: VIDEONALE.1 # essay – Raum als Methode.

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Ausstellungsansichten VIDEONALE.14-18, Fotos VIDEONALE.14 Anneke Dunkhase; VIDEONALE.15-18 David Ertl, Ausstellungsarchitektur: Ruth Lorenz

Revisited: VIDEONALE.1 # essay – Raum als Methode.

MomenteEssay

Wollte man die Geschichte der Videonale als Biografie schreiben, dann deutete ihr Werdegang – ihr schrittweiser Umzug vom Off-Space in einen Kunstverein und schließlich ein Kunstmuseum – auf eine mustergültige Karriere hin. Beim Blick auf den Anfang – die erste Videonale 1984 – vermutet man entsprechend einen Moment des euphorischen Aufbruchs, ganz der (relativen) Neuheit des künstlerischen Mediums gemäß, dessen Errungenschaften man nun, in einem zwischengenutzten Raum in der Bonner Altstadt, ein Forum bieten wollte. Die Katalogeinführung beschreibt das Festival hingegen eher als Symptom einer Krise – bzw. den Versuch einer Antwort darauf:

„So wichtig und innovativ das ‚Künstlervideo‘ – als noch eine sehr junge Disziplin der Bildenden Kunst auch immer sein mag, es ist gerade in unseren Tagen mit einer Hypothek belastet. Was noch vor wenigen Jahren als unverbrauchte und deshalb ganz besonders geeignete Kunstmitteilung gefeiert wurde, ist ins Abseits geraten.“1

Zu sehr hätte die Abgrenzung des Mediums gegenüber TV und kommerziellen Produktionen in der Frühzeit den Blick auf die „analysierende Auseinandersetzung mit dem Gegebenen“ verstellt.2 Die erste Videonale war also auch als Einladung zur kritischen Selbstvergewisserung an all jene zu verstehen, die sich künstlerisch, kuratorisch oder wissenschaftlich in diesem Feld bewegen. Die Form der Präsentation war dabei zugleich Methode. Es wurden keine Video-Installationen und -performances gezeigt, sondern Screenings. Die Videoarbeiten waren reine „Software“. Von dieser Art der Gleichbehandlung versprach man sich eine „Sensibilisierung für die kunstspezifischen Eigenheiten des Mediums“.3 Video sollte sich als „Kunstmitteilung“ vor Publikum beweisen. Dieses ausgeprägte Bewusstsein für die Notwendigkeit, die eigenen Mittel und Absichten zu klären, sich über die Kontexte zu verständigen, in denen man operiert, und für diese Klärungsprozesse die entsprechenden räumlichen Übersetzungen zu finden, scheint mir nicht nur für die Arbeit mit dem gestaltwandelnden Medium Video zentral, sondern auch für das Festivalformat Videonale.

Nachdem folgende Ausgaben der Videonale mit ausgewählten installativen Video-Präsentationen am Rande der Screenings experimentiert hatten, um „einen Eindruck von den gegenwärtigen Tendenzen in der Videokunst“4 zu vermitteln, entschied sich Søren Grammel, künstlerischer Leiter der VIDEONALE.9, inzwischen im Bonner Kunstverein, für einen Abschied „von der streng zentralisierten und festgelegten Diachronizität des screenings“5:

„Es gibt kein Screening und keine aufwendigen Installationen. Stattdessen wurde ein Raum- und Präsentationsgefüge entwickelt, in dem die Arbeiten synchron und kontinuierlich über den gesamten Tag entweder über Monitor oder als Projektion gezeigt werden. […] die Schausituationen sind ohne weitere Zugaben. Sie sind neutrale ‚Hüllen‘.“ 6

Es wurde eigens eine Architektur aus aneinander angrenzenden textilen Kuben entwickelt, die gegen die Hierarchisierung von Screening und Installation arbeite und zugleich die Entscheidung über „Rezeptionsdauer und -abläufe“ innerhalb dieser „Schausituationen“ den Besucher*innen überlasse.7 In diesen Überlegungen, die nicht nur der besonderen räumlichen und zeitlichen Ausdehnung von Video als künstlerisches Medium gerecht zu werden versuchen, sondern auch die Rolle eines Festivals als temporärer, quasi-musealer Präsentationskontext ernst nehmen, sind schon die Fragen vorweggenommen, die den Umzug der Videonale in die Räume des Kunstmuseum Bonn im Jahr 2005 begleiten sollten. Unter der Leitung von Georg Elben begann dort die systematische Auseinandersetzung mit und Erprobung von wechselnden technischen und architektonischen Umgebungen für Video im Ausstellungsraum, die, mit einem stärker kuratorischen Impetus, bis heute fortdauert.

»Inzwischen ist Videokunst nicht nur mainstreamfähig, sondern auch hinlänglich musealisiert.«

Inzwischen ist Videokunst nicht nur mainstreamfähig, sondern auch hinlänglich musealisiert. Die ursprüngliche Reibung der flüchtigen „time-based arts“ an der Vorstellung von der zeitlosen, objektfixierten Institution White Cube hat sich weitgehend abgeschliffen, ebenso wie die Grenzen zwischen „Film“ und „Kunst“ zwar gelegentlich und aus alter Gewohnheit noch ideologisch hochgerüstet werden, in der künstlerischen und kuratorischen Praxis allerdings nur noch eine marginale Rolle spielen. Und spätestens seit sich in den letzten zwei Jahren Kinos, Festivals und Kunsträume mit ihren Programmen in vergleichbaren Streamingumgebungen wiederfanden, wurde diese Unterscheidung um weitere Grautöne erweitert. Die Videonale verhält sich zum Museum wie ein eigenes Habitat. Nach dem Festival-Auftakt existiert sie als Ausstellung in der Ausstellung. Die gezeigte Kunst durchkreuzt nicht mehr die Stille und Zeitlosigkeit des White Cube, hier konkurriert auch nicht mehr der generische Screeningsraum mit einer Architektur, die sich emphatisch als Original begreift, sondern es zieht vorübergehend eine andere Raum-Zeit ins Museum ein, szenografisch markiert, wie ein Gastspiel mit eigenem Bühnenbild.

In diesem Zuge verändert sich auch die Rolle der Ausstellungsarchitektur. Sie ist nicht mehr nur neutrale „Hülle“, sondern will selbst Aussage sein, die den Raum des Museums mit eigenen skulpturalen Setzungen überschreibt. Tasja Langenbach beschreibt die Architektur der letzten, hybriden Videonale etwa als Bezugssystem „mit Linienführungen, die auf den Corona-Abstand rekurrieren, damit Orientierung geben und im gleichen Moment den umgebenden musealen Raum aufbrechen und neue Perspektiven ermöglichen.“8 Was vielleicht auf den ersten Blick nach einer allzu direkten Analogiebildung zu einer uns inzwischen wohlbekannten sozialen Vertigo klingt, deutet zugleich eine unausgesprochene Frage an, nämlich wie und wo Video und andere zeitbasierte Künste jetzt und in Zukunft zu erfahren sein werden, und welche Form von Sozialität aus dieser Erfahrung entstehen kann.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Videonale mit ihrem Online-Streamingportal 2021 Setzungen der historischen ersten Festivalausgabe wieder aufleben ließ: eine Präsentation der reinen „Software“ in möglichst „neutralem“ Setting. Anders als 1984 allerdings drehten sich die Überlegungen der Veranstalterinnen nicht nur um die erfolgreiche „Kunstmitteilung“, sondern ganz maßgeblich auch um deren Rezipient*innen, die man – auch virtuell – nach Kräften zu involvieren versuchte. In gewisser Weise erinnert die Covid-bedingte Hybridfassung des Festivals an jene Latenzphase, die durch den Zweijahresrhythmus der Videonale entsteht, und in der sie quasi in Abwesenheit ihre Präsenz unter Beweis stellen muss. Positiv gewendet löst sie eine produktive Unruhe aus, aus der Formate wie die Videoabende im Wohnzimmer entstehen oder die Filmprogramme im Rahmen von VIDEONALE.scope. Auch in ihnen scheinen frühere Phasen der Festivalgeschichte nachzuleben, wie etwa die intensive Auseinandersetzung mit dem Verhältnis Videokunst/Fernsehen, oder auch das Screening als Standardformat der ersten Festivalausgaben. Explizit stand hingegen die eigene Geschichte selten im Vordergrund, vielleicht auch, weil hier kein Manifest einen historischen Claim absteckt, sondern das Festival seine inhaltlichen und formalen Bezugspunkte mit jeder Ausgabe neu formuliert, im Dialog mit einer künstlerischen Praxis, die sich ebenso verändert wie die gesellschaftlichen, technologischen und räumlichen Kontexte, auf die sie sich bezieht.

Hat die Geschichte der Videonale mit einem Moment des Aufbruchs begonnen, der zugleich eine Krise markierte, steht sie, wie die Festivallandschaft insgesamt, heute wieder vor der Frage, wo sie sich und ihr Publikum physisch und medial verortet. Kann und muss ein Festival für zeitbasierte Künste – noch oder gerade jetzt wieder – „anders“ sein als das Museum, in dem es temporär, im Abstand von zwei Jahren auf- und wieder abtaucht, gerahmt von dessen permanenter Sammlung? Und (wie) kann Andersheit produktiv gemacht werden? Wenn man nach Reibungspunkten zwischen der Medienkunst und ihren Räumen sucht, begegnen sie uns dort, wo die Veränderungen der letzten zwei Jahre die Erwartungen an die Verfügbarkeit von Kunst, an ihre Orte und Öffentlichkeiten verschoben haben. Wo „Reichweite“, „Sichtbarkeit“ und die Versprechen einer deterritorialisierten Festivalerfahrung „für alle“ den Blick darauf verstellt haben, dass, um Cauleen Smiths Covid Manifesto #5 zu zitieren, das Internet ein Werkzeug ist, und kein Lebensraum. Sie sind außerdem dort zu finden, wo der kommodifizierende Sog des Kunstbetriebs zwar Werke erfasst, die Künstler*innen von deren Verwertung aber weitgehend ausschließt bzw. nur symbolisch daran partizipieren lässt. Und wo Festivals durch Premierenzwänge Zugänge zu Öffentlichkeiten beschneiden und eine Exklusivität erzwingen, von der vor allen Dingen sie selbst profitieren.

»Eine weitere [Antwort] könnte sein, diese Begegnungen zu nutzen, um sich auch über die ökonomischen Bedingungen künstlerischer und kuratorischer Arbeit intensiver zu verständigen und nachhaltigere Modelle der Zusammenarbeit zu entwickeln, als sie bisher an der Tagesordnung sind […]«

Eine mögliche Antwort darauf könnte ein emphatisches Bekenntnis zu den zeitbasierten Künsten als ganz maßgeblich auch raumbezogenen Künsten sein. Und zur Bedeutung von Festivals als Orte der physischen und intellektuellen Begegnung – Orte, die eine einzigartige Beweglichkeit und Konzentration der Erfahrung ermöglichen und daher für den Austausch und Fortbestand geografisch weit verzweigter künstlerischer Szenen essentiell sind. Eine weitere könnte sein, diese Begegnungen zu nutzen, um sich auch über die ökonomischen Bedingungen künstlerischer und kuratorischer Arbeit intensiver zu verständigen und nachhaltigere Modelle der Zusammenarbeit zu entwickeln, als sie bisher an der Tagesordnung sind (woran auch ein „Fair Festival Award“ nichts ändert). Gerade kleinere (und daher beweglichere?) Festivals sind hier bereits aktiv geworden. Mittelfristig gehört dazu auch die Mitgestaltung eines Fördersystems für jene Künste im Dazwischen – zwischen Film und Bildender Kunst, Werk und Prozess, lokaler Struktur und globaler Vernetzung –, die im Interesse von Künstler*innen, unabhängig von quasi-höfischen Auftragsstrukturen und ohne Rücksicht auf akademische und bürokratische Abgrenzungsbedürfnisse wirksam wird. Auf die „analysierende Auseinandersetzung mit dem Gegebenen“, die schon die Macher*innen der ersten Videonale forderten, sollten in diesem Sinne Taten folgen, die über die Grenzen von Festivalzeiträumen und -spielorten hinausweisen.

Katrin Mundt ist Kuratorin, Autorin und seit 2018 Ko-Leiterin des European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrück. Sie hat Filmprogramme und Ausstellungen u.a. für die Videonale, Bonn, den WKV Stuttgart, HMKV Dortmund, das Museum Wiesbaden, Matadero, Madrid, das Center for Contemporary Art Celje und CZKD, Belgrad kuratiert. Sie war Kommissionsmitglied der Duisburger Filmwoche, der Kurzfilmtage Oberhausen und des Kasseler Dokfest. Seminare, Workshops und Vorträge u.a. an der Ruhr-Uni Bochum, der Universität Düsseldorf, Goldsmiths, London, an der KHM Köln, der Kunsthochschule Braunschweig und der Merz Akademie, Stuttgart. Sie schreibt regelmäßig zu Film und Medienkunst, insbesondere ihren Berührungspunkten mit dokumentarischen und performativen Praxen.




1 Georg F. Schwarzbauer: „Video als künstlerisches Medium. Versuch einer determinierenden Standortbestimmung seiner Produzenten“, in: videonale 84, hg. von Videonale e.V., Bonn 1984, S. 8.
2 Ebd., S. 10.
3 Dieter Daniels / Bärbel Moser / Petra Unnützer: „Vorwort“, ebd., S. 7.
4 Petra Unnützer: „Vorwort“, in: 4. Videonale in Bonn, hg. von Videonale e.V., Bonn 1990, S. 6.
5 Søren Grammel: „videonale9“, in: videonale9, hg. von Videonale e.V., Bonn 2001, S. 5.
6 Ebd., S. 4.
7 Vgl. ebd., S. 5.
8 Tasja Langenbach: „Fluid States, Solid Matter“, in: VIDEONALE.18. Fluid States, Solid Matter #1: Meta Facts, hg. von Videonale e.V., Bonn 2021, o.S.
9Wohl wurde im Rahmen von Videoarchive erzählen. Sammlungen stellen sich vor das Videonale-Archiv erforscht und öffentlich präsentiert,
allerdings im Kontext einer Befragung unterschiedlicher Sammlungs- Geschichten und ihrer regionalen Querverbindungen: http://www.videoarchive-erzaehlen.de/ (zuletzt aufgerufen am 31.05.2022).
10Vgl. Cauleen Smith: “Covid Manifesto”, in: Millenium Film Journal, No. 71/72, Spring/Fall 2020, S. 83.