Wissenschaft trifft Kunst | DATA POETICS / DATA POLITICS

DATA POETICS / DATA POLITICS

Wissenschaft trifft Kunst | DATA POETICS / DATA POLITICS

28. November 2024, 11:00 -19:30 Uhr
Universität Witten/Herdecke – Holzbau (UG)

Büro medienwerk.nrwKonferenz

Daten sind schon längst zum Rohstoff sozialer Lebenswelten geworden; dies schließt unser wirtschaftliches Handeln mit ein. Zugleich werden über Daten neue Ökonomien geformt – z.B. Aufmerksamkeits- und Plattform-Ökonomien. Ausgehend von alltäglichen Situationen möchten wir daher beleuchten, was Daten mit uns machen und wie folgenreich die Veränderungen in Bezug auf unsere Welt- & Selbstwahrnehmung sein können. Jenseits der einflussreichen ‚Big Tech‘ stellt sich außerdem die (politische) Frage der Daten-Souveränität.

Wissenschaftler*innen und Kunstschaffende gehen darauf aufbauend dialogisch den Fragen nach: Was sind Daten?
Was machen Daten mit mir und zwischen uns?
Was machen (smarte) Technologien mit unseren Daten und wir wiederum mit diesen Technologien?
Wie verändern Daten unsere Beziehungen und unser Selbstverhältnis?
Welche Perspektiven und Lösungswege im Umgang mit Daten & KI können Medienkunst und kunstbasierte Forschung bieten?

In dieser Veranstaltung treffen Kunst- und Geisteswissenschaftler*innen auf Medienkunstschaffende und Praktiker*innen. Sie laden zu inspirierenden Vorträgen, Diskussionen und Workshops ein. Mit Beiträgen von Prof. Dr. Paul Feigelfeld, der !Mediengruppe BITNIK, Audrey Samson (FRAUD collective), Prof. Dr. Sven Meister, Prof. Dr. Matthias Kettner, Prof. Dr. Kerrin Jacobs, Dr. Jonathan Harth, Dr. Simon Roloff und anderen. Abschließend freuen wir uns auf eine Keynote der international profilierten KI-Politikberaterin Dr. Gemma Galdon-Clavell.

11:00: Begrüßung
Aude Florence Bertrand-Höttcke und Klaas Werner 

11:30 – 12:30 Uhr: Keynote von Paul Feigelfeld
If only you could see what I have seen with your eyes. Why intelligence is always artificial.

Der Vortrag erkundet die Geschichte einer Idee des Denkens, die unsere Gegenwart und Zukunft bestimmt. Besonderes Interesse gilt den weniger erzählten Geschichten, den medientechnischen Sackgassen und kulturhistorischen Geheimgängen. Ihre Kartografierung und Erforschung ist wesentlich für ein besseres Verständnis der kulturellen, sozialen, politischen und technologischen Konsequenzen, die vor uns liegen.

12:30 – 13:00 Uhr: Vortrag !Mediengruppe Bitnik
Unreal Data – Real Effects

Mit dem Übergang zu einer datengesteuerten Gesellschaft ist die automatisierte Datenerfassung zu einem wesentlichen Bestandteil der meisten technologischen Systeme und Geräte geworden. Unsere Interaktion mit Technologie erzeugt Daten, die wiederum unsere Welt beeinflussen: Unsere Geräte sagen uns, wie gut wir geschlafen haben, sie sagen voraus, wo unsere Lieblingsrestaurants sein und welche Produkte uns gefallen werden. Aber Datensysteme bestimmen auch welche Nachrichten wir lesen, sie entscheiden welche Landesgrenzen wir überschreiten dürfen, sie bestimmen, auf welche Jobs wir uns erfolgreich bewerben können. Anhand von Beispielen untersucht die !Mediengruppe Bitnik, wie unsere Realität durch Daten geprägt wird und wie die Produktion spezifischer Daten zu einem Tool werden kann, um strategisch in datengesteuerte Systeme einzugreifen. Welche Alternativen bleiben uns, wenn ein Opt-Out aus Datenströmen nicht mehr möglich ist? Wie kann die Mehrdeutigkeit von Daten dazu genutzt werden, in die Welt einzugreifen, statt sie lediglich zu beschreiben?

14:00 – 15:30 Uhr: Arbeitsgruppen mit Dr. Kerrin Jacobs, Sven Meister und !Mediengruppe Bitnik

Arbeitsgruppe: Unreal Data – The 1 Review Tour ⭐!Mediengruppe Bitnik:
Für ihre aktuelle Werkreihe „The 1 Review Tour“ untersucht die !Mediengruppe Bitnik ⭐gemeinsam mit den Selena Savić und Gordan Savičić, wie Online-Bewertungssysteme die Wahrnehmung und Erfahrung eines Ortes prägen. Eines der am weitest verbreiteten Bewertungsschemata im Internet ist das Fünf-Sterne-System. Die Fünf-Stern-Skala beeinflusst Entscheidungen wie die Wahl eines Arztes, die Auswahl von Produkten, Restaurants und Urlaubsdestinationen. Die Beliebtheit der Skala beruht sowohl auf ihrer Einfachheit und implizierten Klarheit (fünf ist besser als eins), als auch auf der Art und Weise, wie sie persönliche Meinungen durch Aggregation in objektive Werte umwandelt (individuelle Argumentation spielt keine Rolle solange viele Menschen zum gleichen Schluss kommen).In dieser Arbeitsgruppe werden wir uns mit der Materialität dieser Ranking-Daten, ihren spezifischen Texturen und ihrer Ästhetik befassen. Welche Arten von Stadtansichten können wir aus den Daten generieren? Wie können wir die Daten auf interessante Weise angehen? Halten die gesammelten Daten ein Potential für Kritik und taugen sie als Ausgangspunkt für künstlerische Arbeit?

re:cognition and social pathology – Kerrin Jacobs

16:00 – 17:30 Uhr: Vortrag Prof. Dr. Audrey Samson
Intelligence? An interpretation

Audrey Samson wird anhand der frühen Photogrammetriegeräte, die zur Interpretation von Ernteanalysen dienten, erläutern, wie die gegenständliche Abstraktion das Land und die darin lebenden Arten materiell umgestaltet. Diese Medienarchäologie gibt Auskunft über das Erbe der frühen Mustererkennung und -interpretation in den heutigen Geoinformationssystemen. Neben einer kritischen Geschichtsschreibung wird sie die technologische Entwicklung von Software wie Descartes untersuchen, die den Einsatz des Raums als Territorium der Vorherrschaft und die damit verbundenen ontologischen Implikationen skizziert, was eine Verschiebung von “ Deutung “ zu “ Intelligenz “ markiert.

& Vortrag Dr. Simon Roloff
AI Noir: Scientific-Literary Experiments with Large Language Models
Moderiertes Duogespräch: Jonathan Harth 

18:00 – 19:30 Uhr: Keynote von Gemma Galdon-Clavell
AI: don’t believe the hype!
Moderation: Matthias Kettner 

Die !Mediengruppe Bitnik sind zeitgenössische Künstler*innen, die im und mit dem Internet arbeiten. Ihre Praxis dehnt sich vom digitalen auf den physischen Raum aus, wobei sie oft absichtlich Kontrollverluste einsetzen, um etablierte Strukturen und Mechanismen in Frage zu stellen. In der Vergangenheit haben sie Überwachungskameras ausgehebelt, ein Opernhaus verwanzt, um seine Aufführungen nach draußen zu übertragen, ein Paket mit einer Kamera an Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London geschickt und ein Gebäude physisch gestört. Im Jahr 2014 schickten sie einen Bot namens „Random Darknet Shopper“ auf eine dreimonatige Einkaufstour ins Darknet, wo er nach dem Zufallsprinzip Gegenstände wie Schlüssel, Zigaretten, Turnschuhe und Ecstasy kaufte und sie direkt an die Galerie schickte. Die Arbeiten der !Mediengruppe Bitnik formulieren grundlegende Fragen zu aktuellen Themen.

Ihre Arbeiten werden international gezeigt, zuletzt in Ausstellungen bei:
CAC Shanghai, LOAF Kyoto, Annka Kultys Gallery London, House of Electronic Arts Basel, Eigen + Art Lab Berlin, Super Dakota Brussels, Centre Culturel Suisse Paris, Aksioma Ljubljana, Kunsthaus Zürich, FACT Liverpool, Onassis Cultural Center Athens, Public Access Gallery Chicago, Kunstverein Hannover, Nam June Paik Art Center South Korea, Fondazione Prada Milano, Shanghai Minsheng 21st Century Museum, The Pushkin Museum of Fine Arts Moscow, Cabaret Voltaire Zurich, Beijing Contemporary Art Biennial and the Tehran Roaming Biennial.

Sie haben unter anderem folgende Preise erhalten:
Swiss Art Award, PAX Art Award, Prix de la Société des Arts Genève, Migros New Media Jubilee Award, Golden Cube Dokfest Kassel, Honorary Mention Prix Ars Electronica.
Mehr Infos über !Mediengruppe Bitnik

Prof. Dr. Paul Feigelfeld ist Kultur- und Medienwissenschaftler. Er ist Professor für Digitalität und kulturelle Vermittlung und Teil des Instituts für Open Arts an der Universität Mozarteum Salzburg, sowie Co-Direktor des Data Arts Forum. Bis 2025 ist er außerdem Gastprofessor am Lehrstuhl für Medientheorien der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Arbeit erforscht transkulturelle und transmediale Ansätze zur Medien- und Wissensgeschichte, kritische Perspektiven auf Technologien und deren Schnittstellen mit Kunst und Design. Er arbeitet und berät für Kunstinstitutionen wie das HKW Berlin, Vitra Design Museum und das MAK Museum für Angewandte Kunst Wien, wo er Gastkurator der Vienna Viennale 2019 mit „Uncanny Values. Künstliche Intelligenz & Du“ war.

Dr. Gemma Galdon-Clavell ist eine Pionierin und globale Vorreiterin auf dem Gebiet der KI-Sicherheit und -Auditierung, die sicherstellt, dass maschinelle Lernwerkzeuge wirklich der Gesellschaft dienen. Sie ist die Gründerin und Geschäftsführerin von Eticas.ai, einem von Venture Capital unterstützten Unternehmen, das algorithmische Schwachstellen, Verzerrungen und Ineffizienzen in Vorhersage- und LLM-Tools identifiziert, misst und korrigiert. Die Software von Eticas, die ITACA-Plattform, ist die erste Lösung zur Automatisierung der Auswirkungsanalyse und Überwachung, die sicherstellt, dass KI-Systeme leistungsstark, sicher, erklärbar, fair und vertrauenswürdig sind. Ihre bedeutende Arbeit – und ihre Leidenschaft, den Status quo zu verändern – brachten ihr die Anerkennung als Mozilla Rise25 Honoree im Jahr 2024, als Hispanic Star Awardee bei den Vereinten Nationen im Jahr 2023, als Ashoka Fellow im Jahr 2020 und als Finalistin beim EU Prize for Women Innovators, der 2017 von der Europäischen Kommission verliehen wurde. Im Jahr 2023 würdigte die BBC sie als eine der „Menschen, die die Welt verändern“, und 2024 wurde sie von Forbes Women als eine der „35 führenden spanischen Frauen in der Technologie“ geehrt und als „Pionierin im Bereich der algorithmischen Prüfsoftware“ gelobt.
Dr. Galdon-Clavell ist eine aktive Beraterin für internationale und regionale Institutionen wie die Vereinten Nationen (UN), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), das Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT) und die Europäische Kommission, um nur einige zu nennen.
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Dr. Simon Roloff: Studium der Kulturwissenschaften, Philosophie, Germanistik und des Literarischen Schreibens an der HU Berlin und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Promotion zum Dr. phil. an der Bauhaus-Universität Weimar. Dann Juniorprofessor am Literaturinstitut Hildesheim, gegenwärtig wissenschaftlicher Mitarbeiter am ICAM der Leuphana Universität Lüneburg. Im Sommer 2024 dort Vertretung der Professur für Medienästhetik. Erscheint im Dezember 2024: »Digitale Literatur. Zur Einführung«.
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Audrey Samson ist Künstlerin und Forscherin, derzeit Stanley Picker Fellow und Mitglied des Duos FRAUD. Sie ist Professorin für More-Than-Computational Arts an der l’École de Recherche Graphique. Sie untersucht die Überschneidung von Technologie und kritischen Ökologien. Aktuelle Untersuchungen: https://frauds.site/.
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Dr. Jonathan Harth forscht und arbeitet seit mehreren Jahren an Fragen zur Nutzung von Extended Reality Technologien sowie über Sozialität unter Bedingungen künstlicher Intelligenz. Er hat Soziologie, Philosophie und Psychologie an der Freien Universität Berlin und der Universität Wien studiert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologie der Universität Witten/Herdecke. Er ist außerdem wissenschaftlicher Berater für digitale Projekte am Theater an der Ruhr und gibt regelmäßig Workshops zu Kunst und KI – u.a. bei der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund sowie dem Department Media / Mixed Reality and Visualization (MIREVI) an der FH Düsseldorf.
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Dr. Kerrin Jacobs ist praktische Philosophin, spezialisiert auf Philosophie der Psychiatrie. Derzeit assoziierte Forscherin am Institut für Erste-Person-Forschung am Fachbereich Psychologie der Universität Witten/Herdecke, Gastdozentin am Studium Fundamentale und an der Medizinischen Universität Graz für die Abteilung Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie sowie EMMAUS-Forschungsstipendiatin des CJ München mit einem Projekt zur Rolle der Intuition in der spirituellen Lebenspraxis. Bis Februar 2024 war sie außerordentliche Professorin für Praktische Philosophie an der Philosophischen Fakultät der Universität Hokkaido (Japan). Dort war sie ein Kernmitglied von CHAIN (Center for Human Nature, Artificial Intelligence and Neuroscience). Zuvor arbeitete sie am Institut für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück und am Philosophischen Seminar der Universität Göttingen und war Fellow-in-Residence am Nietzsche Kolleg der Klassik Stiftung Weimar.
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Prof. Dr. Sven Meister ist Lehrstuhlinhaber am Lehrstuhl für Gesundheitsinformatik an der Universität Witten/Herdecke und Senior Scientist am Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik in Dortmund. Seit 2006 setzt er sich mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen auseinander und geht Fragen nach, wie Digitalisierung das Arbeiten im Gesundheitswesen verändert. Er leitet das Projekt DIM.RUHR: Datenkompetenzzentrum für die interprofessionelle Gesundheitsdatennutzung (www.dim.ruhr). Seine Forschung wird durch eine Vielzahl von Promovierenden aus den Bereichen Medizin, Informatik Psychologie oder Wirtschaftswissenschaften unterstützt.
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Prof. Dr. Matthias Kettner ist Professor für Philosophie am Seminar für Philosophie, Politik und Wirtschaft der Universität Witten/Herdecke. Er studierte Psychologie und Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt, wo er mit Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas zusammenarbeitete und sich später auch habilitierte. Nach acht Jahren am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen in Forschungsgruppen zu Fragen von Medien und Demokratie nahm er 2002 einen Ruf auf eine ordentliche Professur an Deutschlands erster und wegweisender Privatuniversität an. Er hat zu einem breiten Spektrum von Themen in den Bereichen Diskursethik, Medizinethik und Ethikkommissionen, Menschenwürde, Kulturphilosophie und Theorie der psychoanalytischen Interpretation veröffentlicht. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind interkulturelle Ethik in der Wirtschaft und anderen Bereichen sowie philosophische Ansätze zum aktuellen kulturellen Transformationsprozess der Digitalisierung.
Er ist Mitherausgeber des Bandes „Philosophische Digitalisierungsforschung“ (transcript, 2024), der Ergebnisse einer gleichnamigen Reihe von Konferenzen am Center for Advanced Internet Studies in Bochum versammelt.

Aude Florence Bertrand-Höttcke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am WittenLab der Universität Witten/Herdecke. Sie ist affiliated researcher beim kultursoziologischen Observatorium L‘Observatoire am Forschungsinstitut MESHOPOLIS in Aix/Marseille. Im Akademiejahr 2024/25 untersucht sie als visiting researcher am Institut ACTE Paris 1 Panthéon-Sorbonne das Archiv derRencontres Internationales Paris/Berlin. Vor und neben ihrer Dissertation zur Philosophie der Gegenwartskunst bei Prof. Matthias Kettner war sie an einer Vielzahl an Kunstprojekten zwischen Rhein und Ruhr beteiligt. Davor war sie nach ihrem Studium der internationalen Wirtschaftswissenschaften an der ESCP als Beraterin für Wirtschafts- und non-Profit-Organisationen tätig gewesen. 


Foto Header: FAM_EVENTS, im Rahmen von „Blue Skies. Bodies in Trouble“, 10.-14.07.2019, PACT Zollverein, Essen, @ Killa Schuetze;
Foto: !Mediengruppe Bitnik, © Iris Janke, Berlin; Foto: Audrey Samson, @Toscane Thieffry; Foto: Gemma Galdon-Clavell, © Dani Blanco, ARGIA; Foto Prof. Kerrin Jacobs © I.Klujce; Foto: Prof. Dr. Matthias Kettner © Kunstpatenaktion